Ostern 2014
Predigtext: Johannes 20, 11-18
11 Maria stand weinend draußen vor dem Grab, und während sie weinte, beugte sie sich vor und schaute hinein. 12 Da sah sie zwei weiß gekleidete Engel sitzen, einen am Kopf-und einen am Fußende der Stelle, an der der Leichnam von Jesus gelegen hatte. 13 »Warum weinst du?«, fragten die Engel sie.
»Weil sie meinen Herrn weggenommen haben«, erwiderte sie, »und ich nicht weiß, wo sie ihn hingelegt haben.«
14 Sie blickte über ihre Schulter zurück und sah jemanden hinter sich stehen.
11 Maria stand weinend draußen vor dem Grab, und während sie weinte, beugte sie sich vor und schaute hinein. 12 Da sah sie zwei weiß gekleidete Engel sitzen, einen am Kopf-und einen am Fußende der Stelle, an der der Leichnam von Jesus gelegen hatte. 13 »Warum weinst du?«, fragten die Engel sie.
»Weil sie meinen Herrn weggenommen haben«, erwiderte sie, »und ich nicht weiß, wo sie ihn hingelegt haben.«
14 Sie blickte über ihre Schulter zurück und sah jemanden hinter sich stehen.
Es war Jesus, aber sie erkannte ihn nicht.
I5 »Warum weinst du?«, fragte Jesus sie. »Wen suchst du?«
Sie dachte, er sei der Gärtner. »Herr«, sagte sie, »wenn du ihn weggenommen hast, sag mir, wo du ihn hingebracht hast; dann gehe ich ihn holen.«
16»Maria!«, sagte Jesus. Sie drehte sich um zu ihm und rief aus: »Meister!«
17 »Berühre mich nicht«, sagte Jesus, »denn ich bin noch nicht zum Vater aufgefahren. Aber geh zu meinen Brüdern und sage ihnen, dass ich zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott auffahre.«
18 Maria Magdalena fand die Jünger und erzählte ihnen: »Ich habe den Herrn gesehen!« Dann berichtete sie, was er ihr aufgetragen hatte.Liebe Gemeinde!
Mutter Theresa hat einmal gesagt: „Die Sterbenden, die Verkrüppelten, die mental Kranken, die Ungewollten, die Ungeliebten – sie alle sind Jesus in Verkleidung…durch die armen Menschen habe ich die Gelegenheit, 24 Stunden täglich mit Jesus zusammen zu sein.“ [i]
So kennen viele Mutter Theresa – als eine Frau, die aus Liebe zu Jesus in die Slums nach Kalkutta ging. Auf einer Fahrt durch Kalkutta verspürte sie am 10. September 1946 beim Anblick eines Kruzifixes die Berufung, den Armen zu helfen. Weltweit bekannt wurde sie durch ihre Hilfsprojekte für Arme, Obdachlose, Kranke und Sterbende, für die sie 1979 den Friedensnobelpreis erhielt. In der katholischen Kirche wird Mutter Theresa deshalb als Selige verehrt. [ii]
Vor kurzem erschien ein Buch über ihr Leben mit dem Titel: „Mutter Theresa: Komm, sei Du mein Licht.“ In diesem Buch wird vor allem der Briefwechsel der Ordensfrau mit ihren Beichtvätern verarbeitet. Darin kommt ein ganz anderes Bild jener glaubensstarken Persönlichkeit zu Tage.
„Der Engel der Armen“ – so wurde sie manchmal genannt – musste durch tiefe Glaubenszweifel gehen. So vertraute sie z.B. ihrem Tagebuch folgenden Eintrag an: „In meinem Inneren ist es eiskalt. Die Seelen ziehen mich nicht mehr an. Der Himmel bedeutet mir nichts mehr. Ich sehe ihn leer.“ Erschütternd?!
Es ist wohl eben diese Erfahrung, die auch Maria Magdalena im Grab Jesu machen musste, als sie feststellte: „Sie haben mir meinen Herrn weggenommen.“ Sie war am Ostermorgen zum Grab Jesu gelaufen, stand weinend davor und fand den großen Rollstein neben dem Eingang. Das Grab war offen. Vorsichtig beugte sie sich vor – die Eingänge in den Felshöhlen waren meistens niedrig – und sie wagte einen Blick hinein. Dann sah sie zwei Boten aus der Himmelswelt. Aber sie nahm nicht den Himmel in ihnen wahr. Sie glaubte, was wir alle glauben würden. Zwei Gestalten sah sie da – gerade dort wo Jesus hätte liegen müssen. Sie waren weiß gekleidet. Das verlieh ihnen eine besondere Würde. Aber das eigentümliche war, dass Maria von ihnen gefragt wurde. Warum weinst Du? Welch eine Frage.
Draußen vor dem Grab weinte sie wohl aus Trauer um Jesus. Nun aber, das zweite Weinen geschah aus einem anderen Grund: »Weil sie meinen Herrn weggenommen haben«, erwiderte sie, »und ich nicht weiß, wo sie ihn hingelegt haben«. Es war ein Weinen der Enttäuschung, Ratlosigkeit – vorwurfsvoll!
Die Frage, die sich hier für uns – aber auch grundsätzlich und allgemein – erhebt – lautet: Wer kann, wer will uns Jesus rauben? Die Frage, die hinter unseren Glaubenskrisen und Glaubenszweifeln lauert, lautet: Wer will / wer kann uns Jesus wegnehmen?
Wie vielen erging es im Theologiestudium so. Frisch zum Glauben gekommen, mit einer Liebe zu Jesus traten sie an. Und dann begegneten ihnen große und hohe Gedankengebäude der kritischen Theologie. Jesus, nein, er kann nicht auferstanden sein. Das kommt in unserer Welt nicht vor. Er war ein großer Mensch mit hohem sozialkritischem Potential. Zweifel machten sich breit und die Nähe Jesus war erst einmal weg.
Oder, da sind Leiderfahrungen im Leben. Schmerzen quälen. Aussichtslosigkeit begegnet einem jeden Tag. Die Freude am Leben ist genommen. Und dann beginnt der Satz von Hiobs Frau in einem Menschen Herzen Fuß zu fassen: „Sage dich los von Gott und stirb“. Der Tod scheint nur noch die einzige Lösung zu sein. Hiob hat dem keinen Raum gegeben.
Oder da sind die Freunde, die uns vom Glauben weg ziehen wollen. „Du kannst doch nicht…“; „Kein vernünftiger Mensch wird doch..“ „Du vermiest dir nur das Leben!“ „Wollen die alten Freunde uns halten und uns zur Seite ziehn“ – lautete der Beginn einer Strophe des Liedes „Gott lädt uns ein zu seinem Fest“. Wir haben dieses Lied in JG-Zeiten gern gesungen.
Es ist eine alte Erfahrung der Christenheit, um die es hier geht. Um es mit einer Frage von Paul Gerhard zu sagen: Wer will mir den Himmel rauben, den mir schon Gottes Sohn beigelegt im Glauben? Dieser Frage, die sich über Maria Magdalena, Paul Gerhard, Mutter Theresa bis hin zu uns zieht, wollen wir nachgehen. Wer will mir den Himmel rauben, den mir schon Gottes Sohn beigelegt im Glauben? Wer hat sich da aufgemacht, uns den lebendigen Glauben an Jesus zu rauben? Schauen wir uns Maria Magdalena etwas näher an. Was kennzeichnet ihre Situation?
1. Sie kam her vom Karfreitag. Dort hatte sie Jesus sterben sehen. Johannes hält es in seinem Evangelium ausdrücklich fest, dass sie mit zu den wenigen zählte, die am Kreuz ausgehalten haben. Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. (Joh 20,25)
Den sterbenden, den toten Jesus hatte sie vor Augen, als sie zu seinem Grab ging. Und nun sah sie das leere Grab. Was ging in ihr vor? Man kann nicht automatisch von einem leeren Grab auf den Glauben an die Auferstehung schließen. Da liegen Welten dazwischen! Die logische Schlussfolgerung (d.h. wenn man die Sache in den Bahnen, wie man sie angefangen hat, weiterdenkt) lautet doch zunächst:Er ist tot, nun ist sein Leichnam weg – also wurde er weggeholt und beiseite- oder woanders hingeschafft.
Diese Schlussfolgerung liegt ganz auf der Ebene von: „Ich glaube nur, was ich sehe“. Sie sah das leere Grab und meinte sein Körper sei gestohlen. Sie hatte sogar einen konkreten Verdacht: Der Gärtner scheint es gewesen zu sein. Sie hatte doch mit eigenen Augen gesehen, dass Jesus tot war. Das war sicher! Einer der römischen Soldaten hatte es nachgeprüft und festgestellt. Daran gib es nichts mehr zu rütteln.
Ich glaube nur, was ich sehe – ist ein (Glaubensbekenntnis) Credo unserer Zeit. Ich glaube nur, was ich sehe – das klingt so stolz und überzeugend – eben logisch und zwingend. Aber genau darin irrt unsere Zeit. Natürlich glauben oder vertrauen unsere Zeitgenossen auch auf Dinge, die sie nicht sehen. Ich glaube nur, was ich sehe – ist eine Lüge oder Selbsttäuschung.
Fast jeder hat heute ein Handy. Früher konnte man nur telefonieren, wenn das Telefon an eine Leitung angeschlossen war. Jeder hätte sichtbar / räumlich den Weg eines Telefongespräches verfolgen können, wenn er sich die Mühe dazu gemacht hätte. Er hätte nur dem Kabel folgen müssen. Vom Hörer geht das Kabel zum Telefon, vom Telefon zur Wanddose, von der Wanddose über Freileitungen zum Amt. Dort vom Hauptverteiler über die Wähler – wieder zum Hauptverteiler – und dann hinaus zum anderen Teilnehmer.
Bei einem Handy sieht man von alledem nichts. Man sieht kein Kabel. Ein Handy funktioniert über Wellen. Man sieht diese unsichtbaren Wellen nicht. Sie kommen an und bringen das Handy zum Klingeln und dann ermöglichen sie ein Gespräch. Sie sind die Basis moderner Kommunikation.
Nun gut – wir glauben nicht gerade an diese Wellen – das brauchen wir auch gar nicht. Aber wir vertrauen darauf, dass es sie gibt, und dass so die Sache funktioniert. Wir können aber nicht sagen: Ich glaube nur an das, was ich sehe. Vieles können wir nicht sehen und es gibt es doch. Unser Sehen ist nicht das letzte Kriterium.
2. In gewisser Weise war Maria Magdalena eine Gefangene ihrer eigenen Vorstellungen. Es sind ja immer unsere Interpretationen, unsere Schlussfolgerungen – gekoppelt mit unseren Erfahrungen, die uns glauben lassen, wie eine Sache funktioniert und wie daraufhin die Wirklichkeit aussieht.
Wenn man eine Sache allein nach den Maßstäben der menschlichen Logik und der menschlichen Erfahrungen beurteilt, kann man einen Tag nach der Beerdigung angesichts eines leeren Grabes zu keinem anderen Ergebnis kommen – als: der Leichnam wurde gestohlen.
Aber ist unsere menschliche Logik und unsere irdische Erfahrung die einzige Betrachtungsweise der Wirklichkeit? Muss man auch die Dinge des Glaubens in dieses Schema pressen?
Wenn man Dinge des Glaubens beginnt, mit unserer menschlichen Logik zu bearbeiten, gehen wir irre. Der Zweifel kommt immer aus dem Kopf – Der Glaube kommt aus dem Herzen. Es ist immer eine andere Ebene, die wir im Glauben betreten und erleben und zu der der Herr uns ruft.
In dem Andachtsbuch „Mein Äußerstes für Sein Höchstes“ von Oswalds Chambers lesen wir: Mache deine Rechnung nicht ohne Gott. Gott scheint eine köstliche Art zu haben, die Dinge über den Haufen zu werfen, mit denen wir rechnen, ohne Ihn dabei in Betracht zu ziehen. Wir geraten in eine Lage, die nicht von Gott gewollt war, und merken plötzlich, dass wir die Rechnung ohne Ihn gemacht hatten. Er war nicht als ein lebendiger Faktor mit einbezogen. Vor der Möglichkeit, uns zu ängstigen und zu quälen, können wir nur bewahrt bleiben, wenn wir Gott als den stärksten Faktor in all unsere Pläne mit einbeziehen.[iii]
3. Ein weiterer Stolperstein lag Maria Magdalena im Weg – ihre menschlichen Gefühle. Beides – sowohl unser Verstand – als auch unserer Emotionen können zum Stolperstein des Glaubens werden. Ihre Gefühle sagten ihr: Jesus ist nun für immer weg. Trennungsschmerz plagte sie. Trauer umhüllte sie. Und dann noch diese Gemeinheit: Sie haben seinen Leichnam gestohlen. Tränen der Wut über die Niedertracht und Gemeinheit der Menschen plagte sie.
Dieser Schleier der Tränen machte sie blind für das, was geschehen war. Die Bibel bezeugte, dass Maria Magdalena Engel sah und hörte. Ich weiß nicht, ob einer unter uns von solchen Erlebnissen berichten kann. Aber sie wunderte sich nicht darüber. Das wundert nun mich meinerseits. Sie merkte nicht, dass sich mitten im Grab Jesu eine ganz andere Welt ausgebreitet hatte. Das Grab war nicht mehr der Ort des Todes – sondern der Raum des Himmels.
Um diese neue und ewige Welt wahrzunehmen, brauchen wir ganz neue und andere Sinnesorgane. Der Apostel Paulus wünscht den Christen von Ephesus erleuchtete Herzensaugen. Er wusste, wo von er sprach. An die Korinther schrieb er. (2.Kor 1,9) Wir hatten das Todesurteil schon in den Händen – aber wir vertrauten nicht auf uns selbst, sondern auf den Gott, der die Toten auferweckt. In der größten Todesnot bekam er einen ganz anderen Blick geschenkt – einen Blick, der ihn mit Hoffnung erfüllte.
Um dieses Geschenk des Glaubens geht es. Wie kommt dieses Geschenk des Glaubens zu uns?
Maria Magdalena bekam dieses Geschenk des Glaubens durch Jesus selbst. Kein anderer als er, konnte ihr dieses Geschenk ins Herz legen. Kein anderer als er selbst, kann dieses Feuer der Liebe in unseren Herzen anzünden.
Als sie in das Grab schaute, stand eine andere Person hinter ihr. Jesus fragte sie. »Wen suchst du?« Zum 2. Mal wird sie so gefragt. Erst von den Engeln – nun von Jesus selbst. Aber sie ist immer noch in ihrem Denken und Fühlen gefangen. Sie antwortet ihm, ohne sich ihm zuzuwenden.
Sie dachte, er sei der Gärtner. »Herr«, sagte sie, »wenn du ihn weggenommen hast, sag mir, wo du ihn hingebracht hast; dann gehe ich ihn holen.«
Erst als Jesus sie beim Namen nennt, durchzuckte sie es. So spricht nur Jesus ihren Namen aus. Sie musste sich umdrehen, damit sie ihn sehen konnte. Sie musste eine Kehrwende vollziehen, um den ins Angesicht zu sehen, der zu ihr sprach.
Jesus ruft sie bei ihrem Namen. Ist es nicht genau das, was der Prophet Jesaja meint: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! (43,1).
Ich habe dich erlöst, ich rufe dich jetzt bei deinem Namen, du gehörst zu mir. Ist es nicht genau das, was am Kreuz von Golgatha geschehen ist: Er hat uns erlöst – von Sünde Tod und Teufel. Und nun ruft er uns zur Umkehr. Er ruft uns bei unserem Namen und erklärt uns zu seinem Eigentum.
Sein Wort ist es, das uns die vollbrachte Erlösung ins Herz bringt. Und das Wort aus seinem Mund spricht uns persönlich an. Ich bin gemeint – unverwechselbar. Und nun muss ich mich umdrehen, mich IHM zuwenden – IHM auf Augenhöhe begegnen. Er sucht zu mir eine Beziehung. So beginnt die Beziehung zu IHM, indem wir von unserer Erlösung hören und uns zu IHM bekehren.
Und damit dieses Wort aus dem Munde des Auferstandenen Herrn sich nicht verflüchtigt und schnell verrauscht, wie all die anderen Worte, schickt Jesus Maria Magdalena zu den anderen Jüngern. Geh zu meinen Brüdern. Geh in meine Gemeinde. Suche die Brüder und Schwestern und teile deinen Glauben mit ihnen. Ohne Gemeinschaft geht unser Glaube schnell ein, wie eine Pflanze, die kein Wasser bekommt.
Wer kann uns Jesus wegnehmen, wer kann uns den Glauben rauben. Hatten wir eingangs gefragt. Nun, Menschen können es nicht, die Welt kann es nicht, der Tod kann es auch nicht. Hören wir zum Schluss Worte eines großen Glaubenszeugen, der durch all dieses Anfechtungen gegangen ist.Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden,
du bist mein, ich bin dein,
niemand kann uns scheiden.
Ich bin dein, weil du dein Leben
und dein Blut mir zugut
in den Tod gegeben;
Du bist mein, weil ich dich fasse
und dich nicht, o mein Licht,
aus dem Herzen lasse.
Lass mich, lass mich hingelangen,
da du mich und ich dich
leiblich werd umfangen.
Amen