Predigt zu Jubilate 2012
Liebe Jubelkonfirmanden, liebe Gemeinde!
Wissen Sie, was das ist? Das ist Hightech aus dem Mittelalter. Kaum einer kennt es heute noch. Nur in unserer Sprache lebt dieses Gerät fort. Es ist ein Kerbholz.
Wie funktionierte ein Kerbholz? Das Kerbholz war der Vorläufer unseres heutigen Computers. Es war wohl ein einfaches, aber wirksames Speichermedium. Eben weil man einfach Kerben in ein Holz geschnitzt hat, nannte man dieses Speichermedium „Kerbholz“.
Man benutzte es z.B. in einer Gastwirtschaft, wenn der fröhliche Zecher nicht bezahlen konnte. Oder wenn einer beim Bäcker Brot gekauft hatte. Und da man nicht wusste, wieviel Flaschen Wein aus einem Fass gezapft worden war, benutzte man ein Kerbholz und konnte so ziemlich genau den Inhalt abschätzen. Das sind alles nur Beispiele.
Ein Kerbholz gebrauchte man also in der Hauptsache, wenn man Schulden machen musste. Waren die Kerben eingeschnitten, dann spaltete man das Holz. Es gab zwei Hälften. Eine bekam der Schuldner, die andere der Gläubiger. Wer bei wem eine Rechnung offen hatte, wurde auf der Rückseite festgehalten. Dort standen immer 2 Namen – der des Schuldners und der des Gläubigers (z.B. Friedrich Preißler – ist ein Schuldner bei Gott).
Der „Schuldner“ hieß so, weil er Schulden gemacht hatte und zu einem festgelegten Zeitpunkt seine Schuld ausgleichen musste. „Gläubiger“ war derjenige, der dem Schuldner glaubte, dass er ihm seine Schuld bezahlt.
Und dann am Tag der Abrechnung brachten beide ihre Hälfte des Kerbholzes mit. Man legte es an den Bruchstellen zusammen. Jede Bruchstelle ist einzigartig, weil sich jedes Brett anders spaltet. Es passen eben immer nur zwei Hälften zusammen, die ursprünglich zusammengehörten. So war das Kerbholz fälschungssicher.
Und dann, wenn man beide Seiten zusammengelegt hatte, konnte man die Kerben – sprich die Schulden – zählen. Wenn der Gläubiger nachträglich eine oder zwei Kerben mehr hineingeschnitten hatte, weil er mehr Geld wollte, sah man das sofort. Und wenn der Schuldiger Kerben herausgehobelt hatte, sah man das auch. Die beiden Seiten mussten stimmig sein. Betrüger hatten keine Chance.
Ja, und wenn die Schuld bezahlt war, nahm man den Hobel und löschte die Kerben heraus. Und so konnte man das Kerbholz wieder verwenden.
Über eine lange Zeit – von der Antike bis in die Neuzeit – waren die Kerbhölzer im Einsatz. Die sächsische Bergordnung vom Ende des 15. Jhdt z.B. berichtet davon, dass die Fördermengen per Kerbholz erfasst wurden. Die Bank von England gebrauchte die Kerbhölzer bis 1834. Und dann passierte dort etwas Fatales. Man wusste nicht wohin mit den vielen Kerbhölzern, die plötzlich bedeutungslos waren und zündete sie im Hof des Parlamentsgebäudes an und fackelte dabei den Palace of Westminster ab.
In den Alpenländern war das Kerbholz noch bis in das 20. Jahrhundert in Gebrauch. Und nun lebt es nur noch in unserem Sprachgebrauch weiter. Wenn einer eine Straftat begangen hat, wenn einer schuldig geworden ist, wenn jemand etwas ausgefressen hat, sagen wir: „Er hat etwas auf dem Kerbholz“. Die Redensart vom Kerbholz verweist also auf den Zusammenhang von schuldig werden, wieder in Ordnung bringen und Gerechtigkeit.
Wie ist das bei uns? Auch in unserem Leben gibt es so ein unsichtbares Kerbholz. Auf der Rückseite stehen der Name Gottes und unser Name (Friedrich Preißler).
In manche Schuld geraten wir wissentlich. Wir machen etwas falsch, obwohl wir wissen, dass wir es lieber nicht tun sollten. Diese Kerben auf unserem Kerbholz sind uns dann wohl
bewusst. Aber es gibt auch viel unbewusste Schuld in unserem Leben.
In manchen Zusammenhängen werden wir schuldig, weil wir oft nicht anders können. In einer gefallenen Welt geht oft eine gut gemeinte Entscheidung nicht ohne Schuld ab. Oft kann man nur zwischen zwei geringeren Übeln entscheiden. Aber Schuld klebt dann so oder so immer mit daran.
Und oft werden wir unbewusst oder aus Leichtsinn, oder aus Dummheit, oder aus Oberflächlichkeit schuldig. Wie dem auch sei – aus welchem Grund auch immer die Kerben auf unser Kerbholz kamen – sie sind da. Was soll aus ihnen werden?
Schummeln kann man damit nicht! Irgendwann kommt der große Zahltag unseres Lebens. Wir werden vor Gott stehen und Rechenschaft geben müssen. Wir werden unser Kerbholz vorlegen. Und Gott wird die andere Hälfte dazutun. Was dann?
Liebe Gemeinde – genau aus diesem Grund ist mir dieser Satz aus dem 2. Korintherbrief so wichtig und wertvoll. Paulus schreibt: Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
Paulus schreibt seine Gedanken immer sehr kompakt nieder. Darum müssen wir uns den Satz etwas zergliedern. Und dabei werden wir merken, dass er uns ganz persönlich mitbetrifft.
Ich will dabei mit drei Fragen an die Sache herangehen.
1. Wovon wusste Jesus? Hier hören wir: Jesus wusste von keiner Sünde! Er wusste wohl was Sünde ist. Aber er selbst ist in seinem ganzen Leben nie schuldig geworden. Und er wusste das! Diese Aussage der Bibel ist der Hammer. Jesus hatte keine einzige Kerbe auf seinem Kerbholz.
Warum wohl? Weil er vom ersten bis zum letzten Atemzug ein Leben mit Gott gelebt hat. Aus dieser Liebe zu Gott, seinem Vater, kam es zu einem Leben mit Gott. Er hat einmal gesagt: Das ist meine Speise, meine Nahrung, davon lebe ich, das ich den Willen meines Vaters tue. Joh 4,34
Und nun wird es für uns schwer, das nachzuvollziehen. Jesus wusste auch, dass es sein Auftrag von Gott ist, für uns Menschen sein Leben zu geben. Das ist der Wille und der Heilsplan Gottes. Jesus scheint das von Anfang an gewusst zu haben. Darum hören diesenmerkwürdigen Satz bei seiner Taufe.
Johannes der Täufer war ein Prophet und er sah in das Herz Jesu und war erschrocken, weil er dort keine Sünde sah. Darum weigerte sich Johannes zunächst Jesus zu taufen, denn seine Taufe war nur für Sünder. Und da sagte Jesus: Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Matt 3,15
Es ging – es geht in der Taufe um die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Jesus wusste, dass kein Mensch weder für sich noch für andere vor Gott geradestehen kann. Das kann nur einer, der ohne Sünde ist. Und das macht Jesus hier. Er erklärt sich bereit. Er solidarisiert sich hier mit den Menschen, indem er sich mit den Sündern taufen lässt. Und dort nimmt er Sünde einer ganzen Welt auf sich.
Hier beginnt für uns die frohe Botschaft. Die Jubelkonfirmation erinnert euch, liebe Jubelkonfirmanden an eure Konfirmation. Und die Konfirmation erinnert uns alle an unsere Taufe. Dort, in unserer Taufe ist Jesus in unser Leben gekommen und hat sagt: Ich, der ich von keiner Sünde weiß, will für den Menschen (Friedrich Preißler) alle Gerechtigkeit erfüllen.
2. Gehen wir in dem Satz des Apostels Paulus weiter. Nachdem wir gehört haben, wovon Jesus wusste, müssen wir fragen: Was Gott getan hat? Die Antwort hören wir so: Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht.
Ich finde, das ist der schlimmste und furchtbarste Satz der ganzen Bibel. Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht. Ist das nicht total ungerecht? An vielen Stellen verklagen wir Menschen Gott und sagen er sei ungerecht. Auch wenn wir es nicht laut hinausgeschrien haben, wie z.B. Hiob – gedacht haben wir es alle: Wie kann Gott das zulassen?
Aber müssten wir nicht jetzt alle aufstehen und Gott verklagen und sagen: Das ist zutiefst ungerecht. Wie kannst Du deinen Sohn, der ohne Sünde war, zur Sünde machen? Denn das bedeutete für Jesus, dass er sterben musste. Denn der Tod ist der Sünde Sold (die Folge, das Endergebnis). Und Jesus ist diesen furchtbaren Tod am Kreuz gestorben. Es gibt Dinge, die kann man nicht erklären und werden immer ein Geheimnis bleiben. Keiner von uns kann in das Herz Gottes schauen. Aber das sollten wir uns vergegenwärtigen. Auch ich habe Kerben auf meinem Kerbholz. Auch ich lebe und leide unter der Sünde. Und das ist so: In einer in Sünde gefallen Welt ist der Blick verkrümmt. Wir sehen die Sachen nicht mehr in letzter Tiefe und Klarheit. Darum ist uns ein letztes Urteil verboten. Wir kennen nicht die ganzen Zusammenhänge, darum können wir uns nicht anmaßen zu sagen, Gott sei ungerecht.
3. Hören wir darum weiter, was Paulus denkt. Er stellt sich dabei der Frage: Was wird denn nun mit uns? Was wird einmal aus uns? Er schreibt: Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. Dieser Gedanke, der uns hier mitgeteilt wird, ist nun wieder der Hammer. Am Kreuz stirbt der Unschuldige für mich. Jesus bezahlt für mich. Was bedeutet das?
Ich stelle mir das in meiner kindlichen Naivität so vor. Mir wird bewusst, dass ich ein Kerbholz und damit ein Schuldkonto bei Gott habe. Und immer dann, wenn ich an so einen Punkt in meinem Leben komme, wo mir bewusst wird, dass ich Gott Rechenschaft legen muss, werde ich erinnert und gefragt, was ich heute tun will.
Immer wenn Gott mir Schuld aufdeckt, werde ich über die vielen Kerben erschrecken. Aber wie gehe ich damit um? Zuerst muss die Sache vor Gott geklärt werden. Ich bekenne Gott meine Schuld. Ich spreche mit IHM über die Kerben auf meinem Kerbholz.
Und dann hält Gott die andere Hälfte dazu. Und auf dieser Hälfte sehe ich keine einzige Kerbe. Und dann höre ich Gott sagen: Ich habe keine weiteren Forderungen. Alle Schuld ist bezahlt. Das verwundert und verunsichert mich zutiefst.
Und noch verwunderter frage ich: Wieso denn? Und dann steht mir Jesus vor Augen – und Gott sagt: durch Jesus habe ich alles bezahlt. Ich hatte das Recht, die Kerben weg zu hobeln.
Und dann muss ich genau hinhören, was Gott mir noch sagt. Vielleicht muss ich mich bei einem Menschen entschuldigen, vielleicht auch etwas in Ordnung bringen – vielleicht auch etwas Bestimmtes tun, zudem mir Gott dann Mut schenken will.
Aber eins steht fest, in solchen Stunden der Wahrheit kann ich nicht mogeln. Wir kriegen die Kerben auf unserem Kerbholz nicht weg. Am Kreuz durchkreuzt Jesus das Kerbholz Gottes. Er streicht unsere Schuld durch. Er bezahlt mit seinem Leben für meine Schuld. Gott selbst zahlt den höchstmöglichen Preis.
Doch halt, da gibt es ja noch die zweite Hälfte. Wir hatten gehört, dass die Kerben aus dem Kerbholz gemeinsam weggehobelt wurden. Das gilt auch für mich. Gott hat seine Hälfte des Kerbholzes gelöscht. Bin ich aber auch bereit, meine Seite löschen zu lassen?
Die Taufe erinnert uns daran, dass wir mit Christus gestorben sind. Sind wir dazu bereit?
Taufe bedeutet: Ich gebe mein Leben ganz aus der Hand. Ich gebe es Jesus. Mein altes Ich soll mit IHM sterben. An mir ist nichts zu finden, was in den Himmel kommen kann. Ich muss mit IHM sterben. Nur ihn IHM kann ich die Gerechtigkeit werden, die vor Gott gilt.
Jesus hat am Kreuz aber nicht nur meine Sünde hinweggetragen. Er hat auch den Tod besiegt. So kam das Leben. Gott erweckte seinen Sohn am dritten Tage. So kommt die Hoffnung. Der Tod wird nicht das Letzte sein. Die zerstörerischen Mächte werden nicht die Oberhand behalten. Die Geschichte und diese Erde und auch mein Leben liegen in Seiner Hand.
Aber wie ist das jetzt bei mir? Wenn ich meine Taufe ernst nehme, dann darf ich doch auch ernst nehmen, dass mein altes Wesen mit Jesus gekreuzigt wurde und begraben ist. Und dann darf ich doch als neuer Mensch auch mit Jesus leben. Ich muss mich nicht mehr anstrengen. Ich darf im Glauben aus der Kraft des Heiligen Geistes leben. Ich bin in Jesus an den Kraftstrom angeschlossen.
Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
Liebe Gemeinde! Wir sind getauft. Es ist unsere Entscheidung heute, ob wir so leben wollen. Gott hat sich in Jesus für unser – für Dein und mein – Leben entschieden. Er bietet es uns an. Aber ER wartet auch auf unser Ja. Denn Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
Was soll aus uns werden? Wir würden die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, wenn wir in Jesus bleiben.
Amen