1. Sonntag nach Epiphanias

Predigt zum 1. Sonntag nach Epiphanias

Text: Joh 1, 29-34
29 Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!
30 Dieser ist’s, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich.
31 Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser.
32 Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm.
33 Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist’s, der mit dem Heiligen Geist tauft.
34 Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.

Liebe Gemeinde!

Im vergangenen Jahr musste unsere Hostiendose restauriert werden. Eines der drei Füßchen war abgegangen. Ich fuhr damit in das Wasserschloss nach Klaffenbach. Dort arbeitet ein Silberschmied, den ich schon einmal wegen eines Abendmahlkelches aufgesucht hatte.
Als ich dem Silberschmied unsere Hostiendose gezeigt und er den Schaden untersucht hatte, sagt er: „Kein Problem – den Fuß löten wir wieder an“. Und dann fügte er hinzu: „und dem Lamm geben wir wieder eine Fahne.“
Das hatte ich bis dahin gar nicht gemerkt, dass dem Lamm auf unserer Hostiendose die Fahne fehlte. Ich habe zwar fast jeden Sonntag beim heiligen Abendmahl die Hostiendose vor mir, aber das war mir nicht aufgefallen. So genau sehen wir oft hin.
Auf dem Deckel unserer Hostiendose liest man am unteren Rand die Gravur: „Zum 350 jähr. Gedenktage d. Einführung d. Reformation am 31. Oktober 1889“ und dann kommt der Name des Stifters: „Moritz Pässler“.
Weiterhin lesen wir eine Etage höher in kunstvoller Schrift die Einsetzungsworte: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird.“ Zwischen Anfang und Ende der umlaufenden Schrift steht das  Christusmonogramm XP. „χ und ρ“ stehen für die griechischen  Anfangsbuchstaben von Christus. Dazu kommen noch die beiden Buchstaben α und ω. Es ist jeweils der erste und letzte Buchstabe des griechischen Alfabeths. Damit soll ausgedrückt sein: Jesus Christus ist der Anfang und das Ende – der Erste und der Letzte. Er umschließt alles und ist zugleich in jedem Augenblick da. Er durchwaltet das All, die Zeit und auch mein und dein Leben.
Schließlich – sozusagen als „krönender Abschluss“ – sehen wir ganz oben auf dem Deckel der Hostiendose ein Lamm mit einer Fahne. Was soll diese merkwürdige Darstellung. Man wird in der Natur niemals ein Schaf sehen, das mit einer Fahne herumläuft – geschweige denn, dass ein Schaf mit seinem Bein eine Fahne hält oder trägt!
Was ist damit gemeint? Was soll ein fahneschwingendes Lamm zum Ausdruck bringen? Man muss wissen: Das Lamm mit der Siegesfahne ist ein sehr altes christliches Symbol. Ein Symbol ist keine naturgetreue Darstellung oder Wiedergabe einer Sache. In der Antike war das Symbol ein Erkennungs- oder Beglaubigungszeichen, das ein Bote überbrachte. Er wies sich damit sozusagen als glaubwürdiger Träger einer Botschaft oder Nachricht aus. Das Symbol legimitierte ihn.
Da das Christentum die ersten drei Jahrhunderte oft unter Verfolgung zu leiden hatte und die Christen sich schützen mussten, gebrauchten sie unterschiedliche Symbole, um sich als Christen zu erkennen oder um sich auszuweisen. Der Fisch war z.B. so ein Symbol oder ein Hirte, der ein Schaf auf den Schultern trägt.
Auch das Lamm mit der Siegesfahne ist in der christlichen Ikonographie ein altes und bewährtes Symbol. Es geht bis auf die Bibel zurück. Der erste, der Jesus als das Lamm Gottes (Agnus Dei) bezeichnete war Johannes der Täufer. In der Offenbarung sieht der Jünger Johannes dann Jesus als den Sieger. Im 5. Kapitelnimmt er Jesus gewissermaßen mit der Siegesfahne wahr: „Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.“ Und er hört den ganzen Himmel sagen: „Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!“
Genau das will uns das Lamm mit der Siegesfahne auf unserer Hostiendose sagen: Jesus ist Sieger. Er ist Sieger über Sünde Tod und Teufel. Er triumphiert über die lebensfeindlichen und gottfeindlichen Mächte. Er hat überwunden, was uns von Gott und damit vom Leben trennt. Und er hat diesen Sieg als Lamm errungen. Was meint aber die Rede vom Lamm?
Kehren wir dazu von Johannes, den Evangelisten, zu Johannes den Täufer und zu unserem PT zurück. Johannes der Täufer rückt uns in diesen wenigen aber wuchtigen Sätzen Jesus Christus in den Mittelpunkt.
Es ist wie bei einem Teleobjektiv. Das, was weit weg zu sein scheint und was sich inmitten vieler anderer Dinge oder Personen bewegt, das holt man mit einem Teleobjektiv heran. Man sieht nicht mehr das ganze Drumherum, sondern nur noch das, was man herangezoomt hat. Und das sieht man dann ganz nahe und scharf. Man sieht das, worauf es ankommt.
So ergeht es dem Johannes. Es ist nicht er selbst, der Jesus so klar, groß und einzigartig in den Blick nehmen lässt. Gott musste ihn dafür die Augen öffnen. Wir wissen aus der Bibel, dass Johannes und Jesus miteinander verwandt waren. Johannes kannte Jesus. Sie hatten eine verwandtschaftliche Beziehung. Aber obgleich er Jesus gekannt hat, hatte er ihn so bisher noch nicht erkannt. Zwischen dem gekannt und erkannt liegt ein großer Unterschied.
Das ist bis heute so. Man kann vieles über Jesus wissen. Man kann ihn kennen. Wenn man aber Jesus erkennt, ist das noch einmal ganz anders. Wenn man erkennt, was er für uns ist und mir persönlich bedeutet, was er für mich getan hat und das er jetzt zu mir eine Beziehung sucht, dann hat das eine andere Dimension als das viele Wissen über ihn.
Ich kenne einige Ehepaare, die sich immer schon gekannt haben. Sie haben zusammen als Kinder gespielt, sind zusammen in die Schule gegangen und haben zusammen Feste gefeiert. Aber eines Tages wurde in ihrem Leben etwas anders. Sie erkannten sich. Sie fanden heraus, dass sie für einander mehr empfanden, als für alle anderen Menschen. Später wussten sie, dass es Liebe ist. Und sie erkannten, dass Gott sie zusammengestellt und für einander bestimmt hat.
Zwischen dem gekannt und erkannt liegen unbestreitbar Welten. Johannes hat Jesus gekannt – hier erkennt er ihn. Und was er durch das Vorrecht Gottes schauen und erkennen darf, teilt er seiner Umgebung mit. Und die es hörten, haben es weitergesagt. Und andere (wie z.B. Johannes, der Jünger Jesu, der hier genau hingehört hat)  haben es aufgeschrieben. Und so haben wir das heute vor uns. Es ist uns schriftlich festgehalten, es ist uns gesagt, damit es auch unsere Erkenntnis wird. Was hören wir von Johannes über Jesus?
1. Er ist das Lamm Gottes
2. Er ist Gottes Sohn vor aller Zeit
3. Er ist der Täufer mit dem Heiligen Geist
1. Für sich betrachtet ist es ja nicht gerade schmeichelhaft, wenn man Jesus als ein Schaf betituliert. Wenn man jedoch den Gedanken- und  Glaubensraum kennt, in den Johannes diesen Satz: „Seht das ist das Lamm Gottes“ hineingesprochen hat, dann versteht man die Sache sofort.
Jeden Tag wurden im Tempel von Jerusalem mindest 2 Lämmer geschlachtet. Sie erinnerten die Israeliten an die Passahnacht – damals als Gott sie von der Knechtschaft der Ägypter erlöste. Das Blut des Lammes war dem Todesengel das Zeichen, dass er an diesem Haus vorübergehen musste. Das geschlachtete Lamm wurde so die Tür zur Freiheit. Das Volk Israel konnte fliehen. Der Feind verlor die Macht. Später dann am Sinai wies Gott das tägliche Opfer an. Israel hatte sich das goldene Kalb gebaut. Sie meinten, das sei der Gott, der vor ihnen herzieht und sie führt. Obwohl Gottdiesem Volk immer wieder soviel Gutes getan hatte, war Israel wieder von Gott ab und in die Sünde gefallen. Mit dem täglichen Opfer erinnerte Gott sein Volk immer neu an seine Schuldhaftigkeit und Vergebungsbedürftigkeit.
Und nun kam Johannes und sagt diesem Volk auf diesem Hintergrund: „Seht auf Jesus. Seht, das ist das Lamm Gottes!“
Ich war nicht dabei. Aber ich glaube, dass Johannes das Wort „das“  betont hat. Seht, das ist das Lamm Gottes. Die anderen Lämmer waren auch Lämmer Gottes, weil Gott dieses Opfer angeordnet hatte. Die Opfer im AT waren vorübergehende Opfer. Sie waren in dieser Heilsordnung gültig. Aber sie hatten eine Zwischenfunktion, weil Jesus noch nicht da war. Und sie hatten eine hinweisende Funktion – sie sollten dann, wenn Jesus kommt, erkennen lassen: Er war es, der immer schon Vergebung und Neuanfang schenkte. Die Opfer im AT standen stellvertretend für ihn. Er war ihr Inhalt – sie waren sein Symbol. Er stand sozusagen immer schon hinter den Tieropfern des alten Bundes und verlieh ihnen Gültigkeit und Wirkung. ER allein ist es, der die Vollmacht zur Vergebung hat, weil er selbst ohne Sünde war und sich als der Reine geopfert hat. Er ist das Lamm Gottes.
Hier kommt eine zweite alttestamentliche Linie hinzu. So wie für uns heutige Menschen des 21. Jahrhunderts die Maschinen zum täglichen Leben gehören, so gehörten damals die Schafherden mit ihren Hirten zum täglichen Berühungspotential.
Man sah viele Schafherden durchs Land ziehen. Es ging gar nicht anders. Schafe sah man jeden Tag, so wie wir heute Autos, Busse oder LKWs. Ein Lamm war seinerzeit ein guter Vergleich für Schutzlosigkeit und Wehrlosigkeit. Es war ein Zeichen der Ohnmacht, dass selbst beim Schlachten stillhält. Diesen Gedanken der Ohnmacht griff der Prophet Jesaja auf und kündigte den Messias als leidenden Gottesknecht an, der in seiner Ohnmacht, in seinem Leiden, ja in seinem Sterben siegen und die Menschen erlösen wird. „…wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.“ Jes 53,7
„Seht, das ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt!“ sagte Johannes seinem Volk – und jeder wusste was damit gemeint war. Damit hat Johannes sein Volk in Kenntnis gesetzt. Damit hatten aber nicht alle automatisch dieselbe Erkenntnis. Wir wissen, dass nur wenige dem Bild des Johannes folgten und in Jesus das Lamm Gottes erkannten. Es ist damals wie heute das große Anliegen Gottes, das aus dem gekannt, das erkannt wird. Was Johannes erkannte und bekannte, soll auch unser Erkennen sein: Jesus ist das Lamm Gottes. Jesus hat uns in seinem Leiden und Sterben erlöst: von der Macht des bitteren Todes, von der teuflischen Macht des Feindes Gottes, von der trennenden Macht der Sünde. Weil Er meine (unsere Sünde) trägt, muss sie mich nicht mehr niederdrücken. Weil er sie getragen hat, kann ich sie loswerden. Er, der ohnmächtige hat Vollmacht zu retten, zu erlösen, zu vergeben. Er ist das Lamm Gottes.
2. Folgen wir weiter dem inneren Blick des Johannes, um seine Erkenntnis über Jesus zu unserer Erkenntnis werden zu lassen. Wieder ist es eine Aussage, über der wir anfangs stolpern werden. Er sagt von Jesus: „Dieser ist’s, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich.“ Im Rahmen unseres Zeit-Denkens stimmt das so nicht. Johannes hat eher als Jesus das Licht der Welt erblickt. Warum sagt dann Johannes: Er war vor mir?
Johannes erkennt die richtige Reihenfolge. Er erkennt indem, was Gott ihn geheißen hat und indem was er praktiziert hat, in welcher Beziehung er zu Jesus steht. Oft erkennen wir im Glauben neue Geheimnisse erst, indem wir sie tun! Glaubenserkenntnis ist nicht in erster Linie eine intellektuelle Angelegenheit. Darum werden immer diejenigen, die sich auf das, was Gott sagt, einlassen, mehr erkennen als die Intellektuellen und Studierten, die der Weisheit Gottes spotten.
Johannes erkennt etwas ganz Großes an Jesus. Er war vor ihm. Er war vor aller Zeit und Welt. Johannes, der Evangelist ist dem Blick des Täufers gefolgt und konnte später schreiben: „Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben.“ (Joh 1,11f).
Wir werden von Jesus, der zeitlich und rangmäßig vor dem Täufer steht und der damit über allen steht und das All regiert, am Mittwoch Abend in der Allianzgebetswoche weiterhören. Ich möchte dazu noch Adolf Schlatter zitieren, weil es unserer Verhältnisbestimmung zu Jesus helfen könnte: „Christus trat aus der Ewigkeit, aus Gottes Allerheiligsten hervor. Es war eine große Stunde, als im irdischen Menschen der ewige Gott gegenwärtig erkannt wurde. Es war eine große Stunde,  als der, in der Zeit Geborene und Lebende, der über aller Zeit Lebendige erkannt wurde. Es war eine große Stunde, als der, in dem uns Gleichen der mit Gott Geeinte, erkannt und bezeugt worden ist.“
3. Mit der Bußtaufe hat Johannes eine ganz wichtige Vorläuferaufgabe übernommen. Johannes taufte mit Wasser als Zeichen für die Reinigung von der Schuld. Aber gerade darin schafft Johannes eine wichtige Voraussetzung, Jesus zu erkennen. Buße, Reinigung und Vergebung ist immer eine Voraussetzung, mehr und Neues von Jesus zu erkennen. Die Wassertaufe des Johannes  ist eine Hinführung zu Jesus, dem Messias. 
Die Johannestaufe wird zum Erkenntnisraum für Jesus, der mit dem Heiligen Geist tauft. Jesus hat es später seinen Jüngern angekündigt, dass er sie mit dem Heiligen Geist taufen wird.  Sie haben es dann am Pfingsttag erlebt.
Die Wassertaufe und die Geistestaufe gehören nach den vollbrachten Heilsereignissen wie Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten zusammen. Buße und Reinigung gehören immer wieder zum Leben eines Getauften. Aber Jesus möchte nicht nur unsere Vergangenheit in Ordnung bringen. Er will auch jetzt und dann mit uns leben. Wer an Jesus glaubt, wird ein ganz neuer Mensch. Es ist sein Geist, der in uns ist und in uns wirkt: Erkenntnis, Liebe, Vertrauen zu Jesus.
Das Lamm auf unserer Hostiendose will uns als Gemeinde immer wieder daran erinnern. „Seht, das ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt!“ Er war vor uns, steht über uns, nimmt uns am Ende auf und ist doch jeden Augenblick da. Er ist es, der uns mit seinem Geist tauft. Seht, das ist das Lamm Gottes!

Amen

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